Der Pionier des Internet-Pedigrees – Ein Bericht von Nikolaus Matzka
Ich kenne Norman G. Hall nunmehr schon seit fast 20 Jahren, allerdings nur in virtueller Form via elektronischem Mailverkehr (E-Mails gibt es tatsächlich schon seit den frühen achtziger Jahren!). Es war ein wunderbarer Moment, als ich, es muss 1998 gewesen sein, das erste Mal die Website www.pedigreeguru.com öffnete. Die Beschäftigung mit Pedigrees von Trabern hatte mit einem Mal eine neue Dimension bekommen. Plötzlich konnte man auf Knopfdruck alles über die Abstammung bzw. Nachkommenschaft der meisten Pferde der großen Traber-Nationen erfahren, die Zeit der mühsam angehäuften und mit nicht unwesentlichem finanziellen Aufwand aus aller Herren Länder angeschafften Bibliotheken an Gestütsbüchern war mit einem Mal vorbei. Wobei es prinzipiell ja nichts Schöneres als eine Bibliothek gibt, doch das Internet ist dennoch zweifelsfrei um einiges komfortabler…
Im März dieses Jahres lud mich Norman ein, zu einem seiner „Pedigree Camps” (früher üblicherweise alle zwei Jahre abgehalten) nach Kanada zu kommen. Ich buchte einen Flug von Wien nach Halifax via Frankfurt, von dort sollte es noch nach Charlottetown auf Prince Edward Island weitergehen. Anfang Mai erhielt ich ein Email von Norman, dass das Camp aufgrund mangelnden Interesses gecancelt wurde, ich aber dennoch gerne eingeladen sei, das „Kentucky Kanadas” von 18. bis 21. Juni kennenzulernen. Nun, es sollte sich lohnen...
Donnerstag: So flog ich am Donnerstag, dem 18. Juni, nach Halifax, Norm hatte mir einen Anschlussflug nach Charlottetown gebucht. Die Condor-Maschine von Frankfurt nach Halifax hatte Verspätung, die Prozedur bei der Einwanderungsbehörde erforderte erheblich Zeit, zudem wurde mein Gepäck in Halifax verschlampt – kurzum, ich versäumte den letzten Flug nach Charlottetown (Anm.: Der Landweg von Halifax auf die Prince-Edward-Insel dauert etwa vier Stunden, der Flug 30 Minuten). Kurzes Chaos, dann tauchte das Gepäck wieder auf und Norman hatte seinen alten Freund Bill McNeil angerufen, der eine Farm etwa 40 Minuten von Halifax entfernt besitzt. Bill, nicht nur aufgrund seines Bartes an einen kanadischen Grizzly (allerdings von sanfter Natur) erinnernd, holte mich kurzerhand vom Flughafen ab und wir fuhren mit einem wackeligen VW Vento, geschätztes Baujahr 1995, zu seiner Farm, Saulsbrook Farms, die in einem verschlafenen Nest namens Windsor liegt, wo ich nun meine erste Nacht verbrachte.
Freitag: Mein Flug ging erst mittags, so war noch Zeit für eine Besichtigung der riesigen Weiden bzw. Koppeln von Saulsbrook. Durchaus illustre Pferdedamen aus der Pacerwelt kamen uns da entgegen, etwa eine Tochter der früheren kanadischen Spitzenstute Hattie (v. Abercrombie), Heroine Hanover
(v. Somebeachsomewhere), mit einem frischen Fohlen von Shadow Play namens Saulsbrook Heroine. Weiters lernte ich Bills Sohn Allan kennen, ein Trainer, der mitunter aus europäischer Sicht mit recht archaischen Methoden arbeitet (vier Pferde hinter einen Truck gespannt und los geht’s; allerdings in sehr gemäßigtem Tempo, Allan versicherte mir zudem, dass sich die Pferde jeden Morgen im Stall schon auf diese Übung freuen würden bzw. es kaum erwarten können...), die jedoch in Nordamerika gang und gäbe sind. Eine hochinteressant gezogene vierjährige Traberstute namens Soft Parade (Chocolatier – Share The Promise – Yankee Glide – Winky’s Goal), die noch einmal für den Rennbetrieb vorbereitet wird, wurde mir auch vorgeführt; Allan blieb mir im Wort, dass ich mich im nächsten Jahr die Zucht betreffend anteilsmäßig bei ihr beteiligen bzw. den Hengst für sie aussuchen könne, die hochdotierten Ontario Sire Stakes warten...
Nun hieß es aber ab nach PEI, wie die Einheimischen ihre Prince Edward Island nennen. Mit einer zuverlässigen 18-sitzigen Hawker Beechcraft ging es bei schlechtem Wetter von Halifax rumpelig dahin, in Charlottetown holte mich schließlich „Mr. Pedigree Matching” Norman Hall ab. Wir fuhren zu seinem Haus, in dem ich es mir für zwei Nächte bequem machen durfte und von seiner Frau Phyllis, mit der er erst unlängst den 50. Hochzeitstag feierte, herzlich empfangen wurde.
Das Programm war weiters dicht gedrängt. Nach einer kurzen Verschnaufpause war ein Lobster-Dinner angesagt, die diesbezügliche Saison hatte in Kanada eben begonnen. Der „Kanada-Rookie”, der ich nun einmal war (ich habe über 45 Länder in meinem Leben bereist, Kanada zählte allerdings bislang nicht dazu), musste nun mit einem Riesenmesser einem Lobster den Garaus machen. Dies überließ ich letztlich doch lieber Norman, der das Schalentier vor mir brachial aufbrach; der Rest des Abends, an dem u.a. Fred MacDonald vom kanadischen Guardian und Kent Oakes, der Präsident von Standardbred Canada teilnahmen, und an dem ich die Freude hatte, viele Fragen zum europäischen bzw. auch österreichischen Trabrennsport beantworten zu können (Freddy lag mir bierselig in den Ohren bezüglich des ältesten Zuchtrennens der Welt, des Österreichischen Derbys; er meinte, aufgrund der Unterbrechungen wegen der Weltkriege sei dies nicht so ganz korrekt…), klang beschwingt, aber vergleichsweise früh aus.
Samstag: Jetlag hin oder her, weiter im Programm am Samstagmorgen. Norman brachte mich zu diversen herrlichen Plätzen ruraler kanadischer Provenienz, zu Farmen, Trainern und Pferden. Eines dieser Pferde stand dann auch auf einer recht schmalen Koppel, sodass ich ihm zunächst kaum Aufmerksamkeit schenkte, ein durchaus gut genährter, dennoch etwas verwilderter Fuchs. Auf meine Frage, welches Pferd das sei, wurde mir gesagt, das ist Northern Bailey. Nun ja, der 1998 geborene Hengst ist ja bloß ein Sohn von Balanced Image aus einer der stärksten nordamerikanischen Mutterlinien (Mamie), zudem mit einem Rekord von 1:10,4 behaftet und für seine Besitzer gewann er dann halt auch einmal 773.726 Dollar! Die Kanadier gehen eben etwas pragmatischer mit ihren Stars um… Tatsache ist aber, dass Northern Bailey, ein Held der Ontario Sire Stakes-Bewerbe des Jahres 2001, seit Jahr und Tag einer der am meisten beanspruchten Stallions seiner Region ist und durchaus Erfolge aufweisen kann, wie z.B. den Wallach Waiting On A Woman mit 43 Siegen und Gewinnen von fast 300.000 Dollar.
Viel vorbereitet wurde für mich von Norman, der nicht nur der Pedigreeguru ist, sondern auch eine wichtige Rolle als Präsident der P.E.I. COLT STAKES, die für die Weiterentwicklung des Sports immens wichtig ist, inne hat, am Abendrenntag auf Red Shores, der Sommerrennbahn von Charlottetown. Einerseits wurde mir für unsere Website www.breedingtrotters.com eine schöne Decke bzw. auch ein Rennen zur Verfügung gestellt, andererseits kam der Medienrummel für mich dann doch überraschend, zumal ich letztlich vor etwa 1.000 Leuten in der knallvollen Tribüne von Charlottetown dem dortigen Telecaster ein Interview geben musste, dies in einer Sprache, die zwar meine zweite, aber eben nicht meine erste ist. Ich hoffe, vor allem den österreichischen Rennsport gut repräsentiert zu haben, aber glauben Sie mir, eine nachhaltige Geschichtsschulung in Sachen europäischer Trabrennsport wird’s nicht gewesen sein, dafür ist den Nordamerikanern ihr eigener Sport viel zu wichtig bzw. derer der anderen bei aller Wertschätzung letztlich eher egal ...
Auf der Rennbahn von Charlottetown gibt es übrigens eine gelungene Fotowand im Stil der 1970er-Jahre, auf der Stars der PEI vorgestellt werden. Aus europäischer Sicht der größte davon ist natürlich Walter Jr. „Wally” Hennessey, legendärer Driver der gewinnreichsten Traberstute aller Zeiten, Moni Maker.
Somit waren alle zufrieden, der Abend ein voller Erfolg, das Buffet köstlich. Zurück in Normans Haus, konnten wir auf der Terrasse dann endlich ein paar Worte bezüglich seiner Pionierarbeit in Sachen Online-Pedigree wechseln. Wie kam es dazu?
Norman Hall, 1941 in England geboren, übersiedelte in den frühen sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Kanada, heiratete dort seine Lebensliebe Phyllis (50. Hochzeitstag im Jahr 2014), war als hochdekorierter Ingenieur in Sachen Energie für namhafte Großkonzerne im Einsatz und ging 2003 in Pension. Dann fand er die Zeit für jene Sache, die ihn schon lange interessierte: Pedigrees! In Zusammenarbeit mit einem seiner vier Söhne, Charles, gründete er das Pedigree-Matching-Business im Jahr 1997.
Tatsächlich war dies für die internationale Gemeinschaft der an Pferdezucht Interessierten ein enormer Durchbruch. Vor 16 Jahren entstand das erste Desktop-Computerprogramm namens PM 99. Zuvor war es auf der Auktion von Harrisburg von 1998 als CD erhältlich, kurz darauf online unter pedigreeguru.com, 2005 mutierte es zu Pedigree Matching Globetrotter. Seitdem entwickelte sich das Programm kontinuierlich, aus rund 30 Ländern sind Daten zu den verschiedenen Arten der Pferdezucht eingespeist. Norman bekommt seitdem auch viele Anfragen bezüglich diverser Tipps in Sachen Zucht, möchte dies allerdings an seine Züchter zurückgeben. „Ich kann die vielen Anfragen schon aus Zeitgründen nicht beantworten. Ich will ganz einfach, dass meine Kunden aufgrund der Möglichkeiten meiner Website ihre Hausaufgaben machen und aufgrund dieser die richtige Entscheidung treffen, egal, ob es jetzt die Zucht oder den Kauf anbelangt.”
Wir wollen an dieser Stelle auch nicht zu weit ausholen; Tatsache ist, dass sich jene Pferde, die nachweislich (und sehr viele davon sind natürlich auch entstanden, ohne dass man jemals etwas davon wüsste) aufgrund von www.pedigreematching.com gezeugt wurden, durchaus sehen lassen können:
Lis Mara (Cambest – Lesheen – Abercrombie), Pacerhengst, verkauft um 12.000 Dollar, Gewinner von 3,2 Millionen Dollar
Hyperion Hanover (Camluck – Hattie – Abercrombie), Pacerhengst, Gewinner von 1,2 Millionen Dollar
Valvec (Mr Lavec – Duo Val Car – Garland Lobell) und Indiana Hall (Striking Sahbra – Inverlochy – Speedy Somolli), beide Traber und als Zweijährige unter 20.000 Dollar verkauft, teilen sich 1,5 Millionen Dollar auf
Judith Farrow hat sich streng an die Formeln von PM gehalten und mit Intimidate (Justice Hall – Fabulous Tag – Tagliabue) einen Traber gezüchtet, der 1,25 Millionen Dollar gewonnen hat
Die fantastische kandische Pacerstute Invitro (Camluck – Keystone Trinidad – Albatross) gewann 2,3 Millionen Dollar und war eine der ersten Züchter-Ratschläge dieser Website nach einem großen Artikel darüber in der amerikanischen Fachzeitschrift Hoof Beats
Viele andere erfolgreiche Pferde, vor allem die auf der Insel gezogenen Saulsbrook Alana (Western Paradise – Atlanta Girl – Real Artist) und Saulsbrook Balance (Nikes Image – Animated Lady – Workaholic), waren ebenfalls erfolgreich nach der PM-Lehre.
„Es ist fein, diese Erfolge zu registrieren”, sagt Norman, „aber es wäre besser, viel mehr Judith Farrows zu sehen, die mit ihren eigenen Entscheidungen, angeregt durch Pedigree Matching, erfolgreich sind.”
Was ist nun die Lehre von Pedigree Matching? Auch ein großer Visionär wie der legendäre Galopper-Züchter Federico Tesio, der als Züchter von Nearco – Großvater von Northern Dancer – die Vollbluzucht von der Pieke auf revolutioniert hat, wollte sich nicht wirklich in die Karten blicken lassen; erst Studenten, die sein Hauptwerk Breeding the Racehorse exakt analysierten, kamen auf den Schluss. Die Antwort ist dennoch für jedermann durchaus ersichtlich. Es geht um die Blutzusammenführung der Mutterseite des Vatertieres auf jene des Muttervaters (oder durchaus auch auf die zweite oder dritte Mutter), idealerweise in der dritten oder vierten Generation angesiedelt. Diese Kombination hat wegweisende Erfolge gebracht und scheinbar scheint es auch nicht vorrangig, ob etwa der Hengst ein Spitzenvererber ist. Worauf sich allerdings das Gros der Züchter einigen kann, ist auf die Qualität der Mutterlinie, sonst wird es schwierig bzw. eben rein zufällig.
Nehmen wir nur ein typisches Beispiel, den schnellsten Traber aller Zeiten, Sebastian K. Sein Pedigree:
Der weltschnellste Traber hat einen letztlich vermutlich unbedeutenden französischen Vater, der allerdings Super Bowl in seiner Mutterlinie führt, dieser ist auch zweiter Muttervater, somit kommt es zu einem 4x3 auf Super Bowl, dazu noch die großartige US-Mutterlinie der Mamie. Das Verblüffende daran: Es handelt sich nachweislich nicht um ein oder zwei oder drei Pferde, die diesem Zuchtmuster folgen, sondern, geht man die großen Sieger der großen Trabernationen etwa von 2014 durch (wir müssen Frankreich mehr oder weniger ausnehmen, das weiterhin zuchtmäßig sein eigenes Süppchen kocht, aber auch hier sieht man durch den Einfluss amerikanischer Hengste mehr und mehr dieses Muster erfolgreich werden, jüngstes Beispiel dafür ist Bold Eagle), kommt man auf eine erstaunliche Fülle an Trabern dieser Art von Zuchtmustern. Ob die Züchter dies gewusst haben oder nicht, ist eine andere Sache, für die Statistik letztlich aber nebensächlich.
Nichts anderes ist somit das Geheimnis von Pedigree-Matching. Im Grunde nur eine Fortsetzung schon lange bekannter Zuchtregeln, nur in moderner, virtueller Form.
Sonntag: Frühzeitig ging es los, Norman fuhr mich um die halbe Insel und derer schöner Plätze. Auch während dieser vier Stunden redete er wie ein Uhrwerk von seinem Programm und von seinen Pferden – nicht weniger als 5 Millionen an der Zahl in seiner Database! –, es war praktisch unmöglich, ihn zu unterbrechen. Zurück in Charlottetown, nahm ich Abschied von Phyllis, Norm brachte mich zum Flughafen, ohne Probleme ging es von Charlottetown über Halifax über Frankfurt zurück nach Wien.
Ein nicht unanstrengender Trip letztlich für eine Zeitspanne von kaum vier Tagen, er hat sich dennoch gelohnt. Norman Halls Arbeit kann meines Erachtens kaum gebührend gewürdigt werden, viele der heute existierenden Websites dieser Art basieren auf seiner Pionierarbeit. (An dieser Stelle darf man festhalten, dass manch frei zugängliche Websites, die eine grafische Aufarbeitung und auch eine prozentuelle Einteilung zwischen nordamerikanischen und französischen Pferden anbieten, eine dermaßen hohe Fehlerquelle aufweisen, dass sie eigentlich unverzüglich vom Netz genommen werden sollten.) Hall will seine Homepage in naher Zukunft ebenfalls gratis anbieten (augenblicklich zu einem fairen Abo-Preis), so sich Sponsoren dafür finden, die auch seine Charity bezüglich Autismus unterstützen.
Abschließend vielleicht noch ein Bonmot aus dem Munde von Norman Hall. Wir sprachen über Jährlingsauktionen, und da speziell über die größten Nordamerikas, Lexington und Harrisburg. Norm versuchte da stets, das Pedigree über das Aussehen des Jährlings zu stellen, allein, ohne Erfolg; die Käufer waren geblendet von der Schönheit des Pferdes. Zwei Jahre später, als das Pferd noch immer keinen Huf auf die Rennbahn gesetzt hatte, ging er zum Käufer und sagte: „Hast du schon einmal eine Miss Universum gesehen, die eine olympische Medaille gewonnen hat?!”
Besuchen Sie bitte auch unser Fotoalbum zu diesem Besuch.
2015_07