Verabschiedet sich eine Traditionslinie endgültig?
Axworthy, das war etwas! Diese Linie war stets stark und – sie war die Outcrosser-Vaterlinie schlechthin, wenn es in späteren Trabergenerationen nur noch um Blut von Speedy Crown und Super Bowl ging. In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war sie, vor allem in den USA, schon einmal schwer vom Aussterben bedroht. Doch da nahm sich ein Mann namens Ugo Chiola ein Herz und versuchte es mit dem Songcan-Sohn Nearly Perfect (Songcan wurde 1981 nach Schweden exportiert und ging dort 1997 ein). Dieser war zum „Älteren Pferd des Jahres“ gewählt worden und wies einen Rekord von 1:10,9 auf. Dies prädestinierte ihn, die Axworthy-Linie im Gestüt weiterzuführen, nachdem etwa Chiola Hanover, letzter Vertreter des Stammes von Hickory Smoke in den USA, seine Chance vertan hatte und nach Neuseeland exportiert wurde.
Nearly Perfect wurde in seinen ersten beiden Saisonen auch rege in Anspruch genommen, er bedeckte 107 bzw. 100 Stuten. Übrig blieb davon leider nicht viel. Der Hengst kam mit einem gesunden und einem kranken Hoden ins Gestüt, der gesunde musste aufgrund einer Infektion entfernt werden. Aus seinem ersten Jahrgang blieben 45 Fohlen übrig, sein dritter Jahrgang – 86 Stuten bedeckt, 29 Fohlen – gab ihm dann den Todesstoß, keiner wollte mehr mit ihm züchten.
Dabei hatte Nearly Perfect in seinem zweiten Jahrgang (1989) zwei absolute
Top-Stars beiderlei Geschlechts, den Hengst Sierra Kosmos und die Stute
Imperfection. Und 1995 gab es im Hambletonian eine weitere Chance durch seinen
Sohn King Pine (aus der Pine-Chip-Mutter Pine Speed), doch versprang sich
dieser im Rennen als Mitfavorit und danach leider auch in der Zucht.
Auch Sierra Kosmos konnte im Gestüt nicht an seine Rennlaufbahn anschließen, es
scheint nunmehr so, dass diese Linie mit enormer Tradition tatsächlich dem
Aussterben preisgegeben ist.
Dabei hatte alles so grandios begonnen. Traber-Gründungsvater Hambletonian 10 zeugte offiziell 127 Söhne für die Zucht. Aus deren Linien kristallisierte sich wiederum ein Quartett heraus, das einen großen Einfluss auf die weitere Traberzucht nehmen sollte: Peter the Great, für den heutigen Trabrennsport eindeutig der wichtigste davon, der hingegen heutzutage am wenigsten wichtig scheinende, an gewissen Umständen gescheiterte Bingen, sowie McKinney, enorm wichtig für den so genannten anglo-normannischen Traber, und eben Axworthy, geboren 1892.
Letzterer begründete Linien in aller Herren Länder. Zuerst spaltete sich sein Zweig auf in Dillon Axworthy (mit dessen Sohn Dean Hanover sowie wieder dessen Söhnen) und Guy Axworthy, sein mit Sicherheit bester und wichtigster Sohn im Gestüt. Guy Axworthy zeugte:
Truax, dessen Sohn Calumet Chuck, von diesem ging es in zwei Linien
weiter. Jener von Titan Hanover und dessen Sohn Hickory Smoke, der wiederum
verantwortlich war für Pferde wie Chiola Hanover, Dayan, Fehmi, Lucky Hanover,
Marengo Hanover, Proven Freight oder Smokey Windswept (es soll an dieser Stelle
erwähnt sein, dass Marengo Hanover in Italien, Lucky Hanover in Deutschland und
Proven Freight in Österreich absolut dominante Championhengste waren). Und
jener von Nibble Hanover, der vor allem über seinen Sohn Scotch Nibs für die
schwedische Zucht von jahrzehntelangem Einfluss war.
Und Guy Axworhy zeugte auch Lee Axworthy, der über Lee Tide und dessen Sohn
Spencer zu Doctor Spencer leitet, einem der führenden italienischen Hengste der
früheren Trabergeschichte. Lee Axworthys Linie führte schließlich auch über die
Amerikaner Lawful und Legality zum deutschen Hengst Epilog, Vater des
Prix-d’Amérique-Siegers Permit, dieser wiederum Vater von Lord Pit, seinerseits
erfolgreichster deutscher Deckhengst, bevor Diamond Way die Bühne betrat.
Und Guy Axworthy zeugte das famose Rennpferd Mr McElwyn, dieser Colby Hanover. Guy Axworthy zeugte Guy Abbey, Vater des Jahrhundertrennpferdes Greyhound, leider ein Wallach. Guy Axworthy zeugte Guy Day, er zeugte aber vor allem Spud Hanover, der wiederum Florican brachte, den vermutlich wichtigsten aller Axworthy-Traber in deren Geschichte. Einerseits als Muttervater von Speedy Crown, andererseits als Vater von Pferden wie Florlis, Dänemarks Ausnahmedeckhengst Pay Dirt, Spectator und dessen Sohn The Prophet, oder auch Songflori, Lord Valentine, den mit viel Vorschusslorbeeren ins US-Gestüt eingestiegenen, später in die Sovietunion veräußerten Tamerlane, sowie auch Parlay R.C.
Von all dem soll nichts mehr übrig geblieben sein? Es scheint so. Bis auf ein paar in einigen Jahren wohl vernachlässigbaren Erfolgen von Pferden wie Deutschlands Derbysieger Grimaldi (ein Sohn von Lord Pit) oder Österreichs Derbysieger Dale Qui (ein Sohn von Proven Freight) scheint die Vaterlinie Axworthys nicht mehr in der Lage, international durchschlagende Akzente zu setzen. Man könnte diese am ehesten noch als Mutterstutenväter ausmachen, wie etwa die Chiola-Hanover-Tochter Intercontinental (Mutter der famosen Continentalvictory), die Sierra-Kosmos Tochter Hawaiian Sierra (Mutter des Weltrekordlers Lucky Jim) oder ganz aktuell die Sierra-Kosmos-Tochter Desert Flower K., Mutter des Euro-Millionärs Main Wise As. Es sei auch angemerkt, dass in der größten Zuchtstätte für österreichische Traber, dem Stall Venus, der Muscles-Yankee-Sohn Incredible Hulk deckt, dieser aus der Sierra-Kosmos-Tochter Gingerly. Nicht unerwähnt soll dabei jedoch bleiben, dass es sich bei all diesen erwähnten Trabern – Continentalvictory, Lucky Jim, Main Wise As oder auch Incredible Hulk – um Traber aus ersten US-Mutterlinien handelt, der Verdacht liegt also nahe, dass das Axworthy-Blut dabei eine eher sekundäre Rolle spielt. Aber es bremst zumindest nicht.
Gänzlich abgängig scheint das Axworthy-Blut in Frankreich zu sein. Dies hat einfache historische Gründe, da niemals ein namhafter Traber aus dieser Linie Eingang ins französische Gestütbuch gefunden hat. Schade darum; vielleicht hatte es aber damit zu tun, wie die nordamerikanische Züchter die Nachkommen von Axworthy vor mittlerweile weit als 100 Jahren beschrieben: frühreif, speedig und heiß. Mitunter gute Eigenschaften für einen amerikanischen Meilentraber, die Franzosen ließen lieber die Finger davon...
Was bleibt von diesem Abgesang an eine der großen internationalen Traberlinien übrig? Was können die Gründe für einen derartigen Niedergang sein? Lassen wir Ing. Günther Schneiberg, jahrzehntelanger Manager des österreichischen Gestüts des Trabrennverbandes, Schönfeld, zu Wort kommen, der meinte, dass etwa der enorme Erfolg von Proven Freight wohl weniger mit seiner Herkunft aus der Axworthy-Linie zu tun hatte, als vielmehr mit seiner starken Star’s-Pride-Mutter. Tatsächlich hatte Proven Freight in Österreich enormen Erfolg mit Müttern des ebenfalls in Schönfeld aufgestellten Star’s-Pride-Sohnes Proud Vic, doch er brachte auch die meisten anderen Traber der nach den Verlusten zweier Weltkriege ausgedünnten österreichischen Stutenherde mit erstaunlicher Konstanz bzw. Qualität zum Laufen.
Am Beispiel der USA – und hier speziell am Falle des wichtigsten Dreijährigen-Trabrennens der Welt, dem Hambletonian – erkennt man allerdings recht schnell, dass auch hier die Axworthy-Linie nicht mit der Zeit mithalten konnte. Zu Beginn sagenhaft dominant – Guy Axworthys Sohn Guy McKinney gewann im Jahr 1926 das erste Hambletonian, es folgten beinahe im Jahrestakt Erfolge der Linie durch Iosola’s Worthy (1927), Spencer (1928), Calumet Butler (1931), Lord Jim (1934), Greyhound (1935), Shirley Hanover (1937) und McLin Hanover (1938). Weiter ging es 1945 mit Titan Hanover, dann Demon Hanover (1948) und Miss Tilly (1949). Doch nach und nach setzten sich die Nachkommen der Linie von Peter the Great und dessen Söhnen Peter Volo bzw. Peter Scott durch. Für Axworthy blieben nur noch Siege in den Jahren 1957 (Hickory Smoke) und 1973 (Flirth), dann war es endgültig vorbei mit der Herrlichkeit.
Eine traurige Sache, jedoch offenbar dem Lauf der Zeit geschuldet. Von den einstigen vier „Musketieren“ Axworthy, Bingen, McKinney und Peter the Great scheint in Sachen Vaterlinie für die heutige Traberzucht nur Letztgenannter nachhaltig übrig geblieben. Aber, wie sagt Dean A. Hoffman dazu: „Never say never“, und verweist dabei auf die Linie von Victory Song, die durch Garland Lobell eine ebenso unerwartete wie powervolle Renaissance erfuhr.
Hoffman erzählt übrigens in seinem äußerst empfehlenswerten Buch „Quest for Excellence – Hanover Shoe Farms, The First 75 Years“ eine sehr nette Geschichte, die auf die Grandezza der Axworthy-Linie hinweist. Es geht um die größte Transaktion der „Harness“-Geschichte, den Verkauf von einer unglaublichen Menge an Pferden, darunter zwei Deckhengste und 69 trächtige Stuten von der Witwe von Alexander B. Coxe an Hanover Shoe. Unter diesen befand sich auch die 12-jährige Miss Bertha Dillon, die den Ruhm von Hanover nachhaltig und endgültig manifestierte. Miss Bertha Dillon war ein tolles Rennpferd und eine wunderschöne Stute, doch der Beginn der Linie der Medio war davon weit entfernt. Liniengründerin Medio selbst wurde als abweisende Einzelgängerin beschrieben, vom Exterieur ebenso wenig überzeugend wie ihre Tochter Marble, die noch dazu ein bissiges Raubtier war. Doch deren Tochter Miss Bertha C wurde vom ausgesprochen hübschen Dillon Axworthy gedeckt, dem Vater von Miss Bertha Dillon. Man könnte also behaupten, dass die Axworthy-Linie der heute weltbesten Mutterlinie einen frühen Schliff gegeben hat.
Abschließend sei auf die letzten Bastionen in Sachen Axworthy hingewiesen. Auf Lindwood Farm in Pennsylvania steht der mittlerweile 24-jährige Sierra Kosmos und deckt dort – neben dem 23-jährigen American Winner sowie der Neuerscheinung Winning Mister – um 1.500 Dollar Taxe. Und bei Kurt Bertmarks Hengstdepot KGB bekommt man dessen Sohn Kick Tail, Vater der großartigen Marielles (1:10,7 – 559.896 EUR), um 3.000 Euro, dieser steht auf Allevamento Tieppo auf halbem Wege zwischen Treviso und Padua. Wer gibt also der Axworthy-Linie noch einmal eine Chance?
Related Article:
http://hl-app1.harnesslink.com/www/Article.cgi?ID=48145
2013_03