Franko-amerikanische Zuchtmuster unabdingbar für das europäische Top-Pferd?
Allmonatlich erscheint in Schwedens Fachgazette Travronden eine Hitparade der einzelnen schwedischen Jahrgangsstars. Wir nehmen jene vom 18. Oktober, die unter „Ein Sommer voller Rekorde” betitelt war. Betrachtet man allerdings zuvor die Liste der erfolgreichsten Vaterpferde (rechts) bzw. jene der gewinnreichsten schwedischen Pferde (der Love-You-Sohn Nahar in Front), so könnte man meinen, dass alles fest in franko-amerikanischer Zuchthand ist. Und, alle Achtung, die Franzosen haben zugelegt in Sachen „Trotteur Francais”. Love You ist mit Siegen im Prix d’Amérique (Royal Dream) und Elitloppet (Nahar) der Deckhengst der Stunde, Ready Cash ist auf dem besten Weg, Varenne als gewinnreichster Traber aller Zeiten abzulösen, Gesundheit vorausgesetzt. Und die PMU kauft rege den europäischen Trabrennsport auf, was ja nicht immer schlecht sein muss.
Hält der französische Einfluss einer zweiten Prüfung stand? Die Meinungen gehen auseinander. Während etwa unser deutscher Kollege Jürgen Gaßner die Franzosenrennen betreffend ein durchaus kritischer Geist ist und mittlerweile ein nur auf den ersten Blick unmachbares „Trabergestütbuch Europas” angedacht hat, so denkt etwa unser schwedischer Kollege Prof. Ulf Lindström, dass das französische Blut unabdingbar für ein gutes Laufen eines europäischen Trabers ist, bzw. nur dadurch Farbe ins Spiel käme.
Ihr Autor dieser Zeilen, Nikolaus Matzka, war in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stets ein Verfechter des franko-amerikanischen Zuchtmusters und machte sich nicht nur Freunde damit. Vor allem sein Mentor, Ing. Günter Schneiberg, ein einerseits immer kosmopolitisch, andererseits auch sehr praktisch denkender Mann den österreichischen Trabrennsport betreffend, lächelte stets milde über Jubelmeldungen schwedische Spitzentraber mit französisch-amerikanischem Zuchtmuster, gipfelnd im Weltrekordlauf von Victory Tilly in 1:08,9 mit Stig H. Johansson auf The Meadowlands, anbelangend.
Man sollte tatsächlich mit der Kirche im Dorf bleiben. Schneiberg hatte mit Sicherheit für sein Land recht. Wenn man auch nicht immer, vor allem in der späten Zeit des Gestütes Schönfeld, mit seiner Auswahl der Hengste konform gehen mochte, so hätte andererseits für ein kleines Traberland wie Österreich ein Einsatz französischer Hengste vermutlich einen Rückschritt für Jahrzehnte bedeutet. Und auch heutzutage ist es hierzulande nicht immer einfach mit Trabern franko-amerikanischen Zuchtmusters, diese benötigen in der Regel durch ihren Körperbau einfach viel mehr Arbeit als ein Standardbred; für viele österreichische Trainer schon aufgrund der Personalsituation kaum machbar. Betrachtet man zudem die Zuchtrennsieger der Saison 2013, so spielt bei ihnen französisches Blut entweder gar keine (MS Dreamer, Four Roses Venus, Chabicou SR, Ribery, Ganador) oder eine völlig untergeordnete Rolle (Tosca Victory, Edo Venus, Eliot Venus, Royal Jet).
Anders in Frankreich. 15.000 Fohlengeburten bei den Trabern pro Jahr, gestützt vom Landwirtschaftsministerium, was will man mehr? Von diesen kommen dann freilich nur ein Drittel in die engere Wahl eines Rennpferdes, etwa ein Drittel von diesen verdient dann auch tatsächlich Geld.
Wie sieht es im Rest Europas aus? Österreich spielt hier, vor allem nach dem Verlust zweier Weltkriege, auch pferdesportlich keine große Rolle mehr; anders sieht es aus verschiedenen Gründen in den skandinavischen Ländern, aber auch in Deutschland und Italien aus. Schweden hat sich über die Jahrzehnte mehr und mehr zu einer Trabergroßmacht gemausert, das Plateau lieferte der amerikanische Standardbred-Traber. Wie auch im restlichen Europa, abgesehen von Frankreich.
Interessanterweise hat aber letztgenannte Nation auch immer ihre Finger im Spiel, wenn es um die Verbesserung des europäischen Trabers geht. Und man kann in den drei neben Frankreich führenden europäischen Trabernationen sogar auf ein einziges Pferd hinweisen, welches dieses Phänomen möglich machte, ursächlich allerdings nur in erstgenanntem:
Schweden: Tibur
Wir wollen die Geschichte nicht mehr groß aufwärmen, Tatsache ist, dass der Fandango-Sohn von der schwedischen Körkommission abgelehnt wurde und sein Besitzer es auf eigene Faust versuchte. Das Ergebnis war enorm, die Schweden waren von einem Spritzer Franzosenblut begeistert und halten sich bis heutige Tage daran. Die Verkaufszahlen auch der heutigen franko-amerikanischen Deckhengste bei den schwedischen Jährlingsauktionen lassen allerdings auf einen deutlichen Rückgang dieses Geschmacks schließen. „Fancy” sind durch die Bank nur junge, amerikanische Hengste wie etwa Muscle Hill oder Donato Hanover.
Tibur war ein Zwischengeschenk für die schwedische Trabersucht, als Hengst selbst und auch als Muttervater. Der Fandango-Sohn führte rund 82% französisches Blut in seinen Adern, die 18% US-Blut kamen vorrangig von seinem Muttervater Kairos, der aus der US-Vaterlinie von McKinney stammte. Als Weiterverber haben Tiburs Söhne allesamt mehr oder weniger versagt.
Italien: Sharif di Iesolo
Das schöne Land am Stiefel hatte mit einer Erscheinung wie Sharif di Iesolo eigentlich nichts am Hut. Stets darauf achtend, bestes US-amerikanisches Blut einzuführen – der italienische Trabrennsport war immer auf Frühreife ausgerichtet –, war der vom Amerikaner Quick Song abstammende Hengst ein so prägnantes Rennpferd, dass an ihm als Deckhengst jedoch kein Weg vorbeiführte, ansonsten wäre er wohl in der Versenkung verschwunden. Allevamenti Toniatti gründete seinen Ruf praktisch auf diesem Hengst und konnte, bei einer Decktaxe von bis zu 50.000 Euro in heutiger Währung, seinen Ruf als riesige Zuchtstätte mit US-Stallions, gipfelnd in Supergill, festigen.
Warum Sharif di Iesolo nicht als Amerikaner gehandelt werden darf, liegt in seinen Blutlinien. Seine Mutter ist Französin und auch sein maternaler Stamm ist französisch, er geht auf die im Jahr 1868 geborene Stute Ouvriere zurück, eine Tochter des für den Traberstamm durchaus wichtigen Galopperhengstes The Heir Of Linne.
Das Blut von Sharif di Iesolo setzte sich rapide auch durch seine Söhne und Enkel fort; in Frankreich ist er vor allem wegen Goetmals Wood und dessen Söhnen nicht mehr wegzudenken, in seinem Heimatland Italien lebt er zumindest zu einem kleinen Teil in den Genen von Varenne mit, abgesehen von den Deckhengsten seiner Linie wie etwa Uronometro. Sharif di Iesolo stammte zu etwa 65% vom amerikanischen Standardbred ab und zu 35% vom französischen Traber.
Deutschland: Diamond Way
Das nunmehrige 80-Millionen-Land, jahrzehntelang im Spitzenfeld Europas die Traber-Umsätze anbelangend, kann dieses Phänomen ebenfalls aufbieten, wenngleich hier stets, mit seltenen Ausnahmen, der amerikanische Standardbred-Traber der entscheidende Faktor blieb.
Wie Sharif di Iesolo, wäre wohl auch Diamond Way pedigreemäßig nicht weiter beachtet worden, wäre er nicht ein so großartiges Rennpferd gewesen. Dann aber ging es dahin, unterstützt stets auch durch eine großartige Stutenherde. Diamond Way ist zu etwa 10% von französischem Blut durch den Einfluss des zweiten Muttervaters, des Franzosen Io d’Amour.
Zurück aber zur schwedischen Sommer-Hitparade. Nach Jahrgängen getrennt, konnte kein Pferd seinen Spitzenrang halten, es erscheinen jeweils neue Gesichter, was die Sache noch spannender macht. Bei den dreijährigen Hengsten/Wallachen steht Kriterium-Sieger Rokkakudo (Varenne – Ikebana – Valley Victory) an der Spitze, bei den dreijährigen Stuten dessen Pendant, Trav-Oaks-Siegerin D’One (Donato Hanover – Giant Diablo – Supergill). Bei den vierjährigen Hengsten/Wallachen thront Derby-Sieger Mosaique Face (Classic Photo – Iona Lb – Supergill) natürlich von der Spitze, bei den vierjährigen Stuten hat die Amerikanerin Delicious (Cantab Hall – Ipsara Lb – Lemon Dra) die Erste Position übernommen, eine schwedische Hoffnung für den nächstjährigen Elitloppet. Bei den älteren Pferden sieht man Panne de Monteur (Credit Winner – Jaloppy – Donerail) bei den Hengsten bzw. Dileva Käll (Muskels Yankee – Leva Käll – Spotlite Lobell) an der Spitze der Rankings.
Was haben all diese sechs Pferde gemeinsam? Sie führen fast alle 100% US-Blut in ihren Genen, abgesehen von 2% Franzoseneinfluss (durch Varenne) bei Rokkakudo bzw. 6% bei Delicious (durch ihren Muttervater Lemon Dra). Wie gesagt, nur eine Momentaufnahme, allerdings eine durchaus aussagekräftige.
Ein abschließender Blick auf die eingangs erwähnte schwedische Deckhengste-Statistik ergibt hinter dem auch heuer wieder nicht zu schlagenden Love You (etwa 60:40% US-Blut zu Franzosenblut) ein klares Bild. Bis auf den fünftplatzierten Juliano Star (53% zugunsten des Franzosenblutes), für den Commander Crowe alleine stets eine erkleckliche Summe einfährt und der sich wohl nicht mehr allzu lange unter den Top-10 halten wird können, sieht man sieben Hengste mit 100% US-Blut und einen (Varenne) mit 4% französischem Bluteinschlag.
2013_10