Die großen Auktionen in Lexington und Harrisburg sind geschlagen –
Welche sind die Deckhengste der nächsten Jahre?
www.trabrennzucht.at versucht an dieser Stelle eine Analyse hinsichtlich der Deckhengste-Trends für die nächsten Jahre. Wie schwierig sich dieses Unterfangen gestaltet – und letztlich stets hypothetisch bleibt –, zeigt ein rudimentärer Blick auf die Geschichte der Trabrennzucht. Wir wollen an dieser Stelle ausschließlich in den USA bleiben, dem Mutterland des „early speeds” und immerwährender Trendsetter in Sachen moderner Traberzucht. Da gab es vor allem im letzten Vierteljahrhundert einige saftige Überraschungen.
Wir erinnern uns: Von den vier kräftigsten Urvätern der amerikanischen Traberzucht, Peter The Great, McKinney, Axworthy und Bingen, blieb Letzterer recht schnell auf der Strecke. Axworthys Linie, die die dominierende in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war, überlebte vermutlich nur bis zu seinem Sohn Sierra Kosmos und scheint, so nicht ein Wunder passiert, tot zu sein. Die Linie von McKinney hinterließ praktisch nur in Frankreich Spuren bis heute, so dass es dem Zweig von Peter The Great vorbehalten blieb (bei Interesse bestellen Sie den Artikel über Peter The Great aus TRABER WELT Nr. 3/1995 als PDF um 10 Euro Unkostenbeitrag), die nordamerikanische und zum größten Teil auch europäische Zucht zu bestimmen. Peter The Great hinterließ zwei Enkelsöhne von eminenter Wichtigkeit, Scotland und Volomite. Scotlands Zweig führte einerseits zu Speedy Crown, andererseits zu Pine Chip, dessen Linie sich vermutlich nur mehr in Europa weiterpflanzen wird können. Volomites Zweig hingegen führt zur Linie von Star’s Pride und zu jener von Victory Song/Noble Victory. Bis zu Beginn der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts teilten sich das kaum zu erklärende genetische Wunder Speedy Crown und Super Bowl, der beste Sohn von Star’s Pride in der Zucht, fast zwei Jahrzehnte den US-Markt alleine auf, die Linie von Noble Victory führte eher ein Schattendasein, da vor allem dank der Ausnahmeerscheinung Balanced Image. Auch die Linie von Nevele Pride, dem zweiten markanten Sohn von Star’s Pride, war in den USA mehr oder weniger ausgestorben und vor allem in Europa präsent.
Und dann passierten nachgerade unglaubliche Dinge. Speedy Crowns bester Sohn in der Zucht, Speedy Somolli, zeugte Baltic Speed, ein im Rückblick höchstens mittelmäßiger Deckhengst, der jedoch zwei Highlights brachte: Peace Corps, ihrerseits seinerzeit gewinnreichstes Trabrennpferd aller Zeiten, in der Zucht leider nie an ihre Klasse auf der Rennbahn anschließend, und vor allem Valley Victory, dem trotz letztlich leidlich erfolgreicher Rennkarriere die Hoffnungen der US-Zucht zu gelten schienen. Und er erfüllte sie. Und wie! Ab Mitte der Neunziger brachen die Nachkommen von „VV” über die amerikanische Trabrennzucht wie ein Tsunami herein, während sich diese Welle in Europa bis heute eher gemütlich Zeit lässt.
Valley Victory hatte eine schwache Fertilität, die er leider auch vielen seiner Söhne mitgab. Einer davon war der Hambletonian-Sieger Victory Dream, der Self Possessed (seit langer Zeit in Italien tätig) zeugte, dieser brachte in den USA mit Cantab Hall einen erfolgreichen Zweig dieser Linie, die sich z.B. durch Explosive Matter und demnächst auch durch Father Patrick schnell weiter fortsetzt. Die zwei wichtigsten Söhne von Valley Victory waren/sind aber zweifellos Muscles Yankee, dessen Nachfahren, allen voran augenblicklich Muscle Hill, diese Linie wohl für ewige Zeiten weiterführen wird (etwa schon kommende Saison durch seinen Sohn Trixton), sowie Yankee Glide, der jedoch nach wie vor nach einem wirklich durchschlagkräftigen Statthalter sucht.
Valley Victory kann als das eine Wunder in der US-Zucht bezeichnet werden, aber es gibt auch zwei andere, die die US-Zucht (und somit auch die europäische) in ungeahntem Maß beeinflussten. Einerseits die Linie von Victory Song/Noble Victory, andererseits jene von Nevele Pride. Erstere setzte sich dann doch nicht über Balanced Image fort, der ausschließlich für den US-Markt prädestiniert schien, und auch nicht über deren besten Nachkommen Mack Lobell, sondern über den in Kanada „ausgegrabenen” Garland Lobell, ein Nachkomme des Noble-Victory-Sohnes ABC Freight. Mit der im Grunde „unmöglich” gezogenen (vom rekordlosen Stallion Magna Force), letztlich aber aus der weltbesten Mutterlinie der Medio abstammenden Mutterstute Amour Angus zeugte Garland Lobell mit Andover Hall, Conway Hall und Angus Hall drei tolle Rennpferde, von denen vor allem die zwei erstgenannten zu unglaublichen Fixpunkten der internationalen Trabrennzucht wurden. Diese Linie scheint wiederum durch deren Nachkommen, siehe etwa Donato Hanover oder auch als Beispiel Make It Happen in Schweden) auf lange Zeit gesichert.
Andererseits kann auch die Fortsetzung der Linie von Nevele Pride in den USA als Wunder bezeichnet werden. Während sich die Linie eines der charismatischsten Rennpferde aller Zeiten in Schweden dank seines Sohnes Zoot Suit (und möglicherweise auch dessen Sohn From Above) am Leben hielt und augenblicklich in Frankreich sogar die Nr. 1 zu werden scheint (dank Ready Cash, der über Indy De Vive, Viking’s Way, Mickey Viking und Bonefish auf Nevele Pride zurückführt), war die Linie in den USA mehr oder weniger ausgestorben. Doch dann verschiffte man das international höchst erfolgreiche schwedische Rennpferd Meadow Road kurzerhand in die neue Welt und ließ ihn dort decken. Das hatte trotz punktueller Erfolge keine weitreichenden Auswirkungen, doch ein paar Züchter vertrauten ihre Stute einem von Richard Staley und Doug Ackerman, beide leider nicht mehr am Leben, gezogenen Meadow-Road-Sohn namens Primrose Lane an, der ein superbes Rennpferd namens Kadabra zeugte. Und dass ausgerechnet dieser Kadabra eine unglaubliche Vererbungsgabe bewies, ist wohl als weiteres Wunder der Traberzucht anzusehen.
Weniger ein Wunder, aber doch erstaunlich ist auch die Tatsache, dass sich die Linie von Super Bowl vielleicht nicht so entwickelte, wie es aufgrund seiner vielen Söhne zu erwarten war. Denn letztlich war es nur ein Name, der sowohl in den USA als auch in Europa den Erfolg dieser Traditionslinie ausmachte: American Winner. 1993 deutlicher Hambletonian-Sieger über Pine Chip, zeugte der Hengst mit Viking Kronos einen der einflussreichsten Hengste Europas der vergangenen 15 Jahre, andererseits mit Credit Winner (nunmehr schon 17 Jahre alt) einen in den USA höchst geschätzten Stallion, dessen Nachkommen etwa zuletzt in Harrisburg noch besser weggingen als jene des Shooting Stars Muscle Hill. Somit bleibt ein weiteres Phänomen der Traberzucht zu bemerken, nämlich dass American Winner, der auch als Stutenvater eine eigene Liga darstellt (seine Töchter zeugten u.a. Muscle Hill, Maven, Classic Photo, Algiers Hall, etc.), mehr oder weniger ein Schattendasein in den USA führte und kaum beansprucht wurde. American Winner, ein weiterer Vertreter der sagenhaften Medio-Mutterlinie, deckte auch heuer noch in seinem von ihm nie verlassenen Heimatland, die Decktaxe betrug 3.000 Dollar. Sein Erzfeind der Rennbahn, Pine Chip (dessen Linie wohl nur durch seine Söhne Scarlet Knight und Dream Vacation in Europa gerettet werden kann, in den USA scheinen die Möglichkeiten recht begrenzt), wurde ganz offensichtlich weitaus besser vermarktet…
Apropos Phänomen: Ob es für die Fortsetzung seines Zweiges reicht, bleibt dahingestellt, Tatsache ist, dass S J’s Photo ganz sicher seit Jahr und Tag ebenfalls zu den ganz Großen im Stallion-Geschäft zählt, allen pedigreemäßigen Ansprüchen zum Trotz. In den USA wird es wohl kaum langen zur Prolongierung, in Europa sieht es hingegen sehr gut aus. S J’s Caviar bekam in Schweden heuer 150 Stuten zugeführt, auch seine Söhne Super Photo Kosmos und Classic Photo sind sehr gut im Geschäft.
Wir wagen nun, eingegrenzt durch die diversen Vaterlinien bzw. aufgrund der Ergebnisse von Lexington und Harrisburg, einen Blick in die Zukunft. Dieser ist selbstverständlich höchst subjektiv und erhebt auch keinerlei Anspruch auf Seriosität. Und warum sollte etwa ein Traber/Pacer-Crossover wie Googoo Gaagaa, der heuer in den USA gerade einmal 18 Stuten bedeckte, nicht auch ein link zur Zukunft der Traberzucht sein?
Legende: Vaterlinie, verkaufte Jährlinge in Lexington und Harrisburg
SCOTLAND
Valley-Victory-Linie:
Cantab Hall (Self Possessed – Canland Hall – Garland Lobell) – 72
Muscle Hill (Muscles Yankee – Yankee Blondie – American Winner) – 54
Muscle Massive (Muscles Yankee – Graceful Touch – Pine Chip) – 44
Explosive Matter (Cantab Hall – Fireworks Hanover – Muscles Yankee) – 43
Yankee Glide (Valley Victory – Gratis Yankee – Speedy Crown) – 43
Manofmanymissions (Yankee Glide – Armbro Vanquish – Garland Lobell) – 39
Deweycheatumnhowe (Muscles Yankee – Trolley Square – Speedy Somolli) – 30
Muscles Yankee (Valley Victory – Maiden Yankee – Speedy Crown) – 28
Muscle Mass (Muscles Yankee – Graceful Touch – Pine Chip) – 23
Einschätzung: Muscle Hill und Cantab Hall (der seine Weitervererbungskraft durch Explosive Matter schon bewies) werden schon 2015 durch ihre Söhne Trixton und Father Patrick diese Linie erfolgreich fortsetzen, zumal ihnen auch hochqualitative Mutterstuten zugeführt werden. Muscles Yankee ist über jeden Zweifel erhaben, Yankee Glide tut sich mit dem idealen Nachfolger bislang noch schwer (sein Sohn Ken Warkentin deckt ab 2015 in Italien), Manofmanymissions könnte jener sein. Bei Deweycheatumnhowe müsste sich bald ein breakover einstellen, hingegen scheinen die rechten Brüder Muscle Massive und Muscle Mass auf einem erfolgreichen Weg.
VOLOMITE
Garland-Lobell-Linie:
Donato Hanover (Andover Hall – D.Train – Donerail) – 84
Andover Hall (Garland Lobell – Amour Angus – Magna Force) – 56
Conway Hall (Garland Lobell – Amour Angus – Magna Force) – 28
Lucky Chucky (Windsong’s Legacy – Aerobics – Muscles Yankee) – 28
Broadway Hall (Conway Hall – B Cor Tamgo – Balanced Image) – 17
Angus Hall (Garland Lobell – Amour Angus – Magna Force) – 15
Majestic Son (Angus Hall – Celtic Contessa – King Conch) – 10
Einschätzung: Donato Hanover benötigt nach wie vor einen durchschlagenden Sohn, bei diesen Bedeckungszahlen wohl nur eine Frage der Zeit (es ist ein offensichtlicher Fakt, dass die Linie von Volomite in den USA hinsichtlich der Generationensprünge seit der Zeit von Speedy Crown und Super Bowl weit hinter jener von Scotland hinterherhinkt, in Europa stellt sich diese Lage durchaus anders dar). Andover Hall bleibt dick im Geschäft und wird wohl noch den einen oder anderen Sohn als Vererber bringen. Conway Hall ist der geheime Star dieses Zweiges, sowohl seine Nachkommen an sich verkaufen sich prächtig, vor allem als Stutenvater ist er enorm gefragt (Höchstpreis in Harrisburg mit 390.000 Dollar war der Jährling Brooklyn Hill v. Muscle Hill a.d. Brooklyn v. Conway Hall). Lucky Chucky bleibt abzuwarten, könnte aber ein Vorreiter der Generationen dieser Linie sein.
Super-Bowl-Linie:
Credit Winner (American Winner – Lawn Tennis – Armbro Goal) – 54
Crazed (Credit Winner – Mary Lou Hall – Mr Lavec) – 18
RC Royalty (Credit Winner – Stockholm Image – Balanced Image) – 10
Einschätzung: Credit Winner ist das große Aushängeschild der Linie von Star’s Pride/Super Bowl, hüben wie drüben des Atlantiks. Sein bislang stiefmütterlich behandelter Sohn RC Royalty, Vater des Hambo-Siegers Royalty For Life, könnte noch eine gute Nummer werden. Insgesamt scheint die gegenüber den obigen erwähnten Vaterlinien quantitativ offensichtlich unterlegene aufgrund durchschlagender Söhne mithalten zu können. Und in der Ruhe lag über Jahrzehnte noch immer die Kraft der Star’s-Pride-Linie.
Nevele-Pride-Linie:
Kadabra (Primrose Lane – Quillo – Trottin’ Happy) – 57
Einschätzung: Völlig offen. Ob das Wunder Kadabra weitere Söhne für die Nevele-Pride-Linie vererben kann, bleibt abzuwarten. Möglichkeiten aufgrund hoher Bedeckungszahlen sind absolut vorhanden.
S J’s Caviar (S J’s Photo – Spawning – TV Yankee) – 12
Einschätzung: Wie schon oben erwähnt, ist S J’s Photo ein Zuchtphänomen an sich, in seinem Heimatland wird es damit aber wohl nicht weitergehen. In Europa stehen die Chancen hingegen ausgezeichnet.
Conclusio:
Rein auf Nordamerika bezogen, hat sich bis heute nur die Linie von Peter The Great (geboren 1895) durchgesetzt, ein Urenkel des als Traberstammvater bezeichneten Hambletonian 10 (*1849). Peter The Greats Enkel Scotland (*1925) und Volomite (*1926) bzw. deren Nachkommen standen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch unter dem dominanten Einfluss der Nachfahren von Axworthy. Aus unerfindlichen Gründen ließ dieser zum ausgehenden 20. Jahrhundert immer mehr ab, die dominanten Epigonen der Linien von Scotland (Speedy Crown) und Volomite (Star’s Pride/Victory Song) setzten sich mehr und mehr durch. Dieser Zweikampf kann bis heute beobachtet werden, die Linie von Scotland bietet insgesamt neun hochkarätige Deckhengste auf, die in den USA up to date sind (Europa hier nicht eingerechnet). Dagegen hält die Linie von Volomite, die sich in weitere Zweige aufteilt, zwölf Hengste dagegen, von denen rein subjektiv gesehen gerade jene von Star’s Pride – bis auf die Superstars Credit Winner und Kadabra – allerdings nicht ganz so stark aufgestellt scheint.
2014_11